„In diesem Land …“ Deutschland 1923 – Das Krisenjahr

Am 24. Juni erlebten wir im Stadthaus eine Geschichtsstunde besonderer Prägung. Das Jahr 1923 war ein Jahr der Krisen: nach dem verlorenen 1. Weltkrieg übte sich Deutschland zum ersten Mal in Demokratie, attackiert von der extremen Linken und der extremen Rechten, das Ruhrgebiet war von Frankreich und Belgien besetzt, die hohe Arbeitslosigkeit und die Hyperinflation bedrohte das Land aber auch das persönliche Leben. Wie ein roter Faden zog sich der Brotpreis durch das Programm. Im Mai 1923 kostete ein Kilo Brot knapp 500 Mark, im Juli bereits über 2.000 Mark, Anfang Oktober schnellte der Preis für Brot auf 14 Millionen und schließlich im November auf 5 Milliarden Mark.

 Gleichzeitig erlebte Deutschland eine kulturelle Blüte, die Moderne hielt kulturell und technisch ihren Einzug: Rilkes „Duineser Elegien“ erschienen. Brecht sorgte für Theaterskandale. Der deutsche Film florierte, ebenso der Schlager. Fritzi Massary feierte Triumphe in Operetten. Chaplins „The Kid“ begeisterte das Berliner Publikum. In Weimar fand die erste Bauhaus-Ausstellung statt und im Oktober 1923 nahm der erste öffentliche Rundfunksender im Deutschen Reich seinen Betrieb auf, was eine regelrechte Rundfunkeuphorie auslöste.

 Roman Knižka in lebendiger szenischer Rezitation und das wunderbar musizierende Bläserquintett (Querflöte: Alice Brie, Oboe: Gonzalo Mejia, Fagott: Olivia Comparot, Horn: Gala Granel, Klarinette: Nemorino Scheliga) entführten uns anhand von literarischen Texten, Korrespondentenberichten, Flugblättern, Briefen, Sitzungsprotokollen aus dem Parlament etc. und mit der zeitgenössische Musik 100 Jahre in die Vergangenheit, die aber in Anbetracht der jüngsten Ereignisse gar nicht so vergangen erscheint.

(Fotos: W. Wiehe)